- Physiknobelpreis 1935: James Chadwick
- Physiknobelpreis 1935: James ChadwickDer britische Physiker erhielt den Nobelpreis »für die Entdeckung des Neutrons«.Sir (seit 1945) James Chadwick, * Manchester 20. 10. 1891, ✝ Cambridge 24. 7. 1974; 1921 Promotion, 1923 Forschungsdirektor des Cavendish Laboratory in Cambridge, 1935-48 Professor für Physik an der University of Liverpool, 1943-45 Leiter der britischen Forschergruppe in Los Alamos, 1948-58 vor allem verschiedene wissenschaftspolitische Tätigkeiten.Würdigung der preisgekrönten LeistungIm Jahr 1920 sprach der britische Physiker Ernest Rutherford (Nobelpreis für Chemie 1908) in einer Rede vor der Royal Society in London vorausahnend über die Möglichkeit eines dritten Bausteins des Atoms neben Elektron und Proton. Dieses Teilchen sollte keine Ladung besitzen und könnte sich daher als nützliches Werkzeug bei der Erkundung des Atomkerns erweisen.Der 29 Jahre alte James Chadwick war bei dem Vortrag anwesend. Er war Assistent von Rutherford und widersprach seinem Chef. Solche Äußerungen seien reine Spekulation, meinte Chadwick.KriegsjahreChadwick hatte an der Universität Manchester bei Rutherford Physik studiert, wo er sich unter anderem mit der Untersuchung der Emission von Gammastrahlung aus radioaktiven Materialien beschäftigte. Im Jahr 1914 ging Chadwick zu einem Forschungsaufenthalt an das vom ehemaligen Rutherford-Assistenten, dem deutschen Physiker Hans Geiger, begründete Laboratorium für Radioaktivität der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) in Berlin. Hier gelang ihm der Nachweis des kontinuierlichen Betaspektrums.Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde er wegen angeblicher subversiver Äußerungen verhaftet. Durch das Eingreifen seiner Kollegen von der PTR kam Chadwick nach zehn Tagen frei. Ein kaiserlicher Erlass ordnete jedoch wenig später die Verhaftung aller »feindlichen Ausländer« an. Chadwick kam in ein Lager auf einer ehemaligen Pferderennbahn bei Spandau, wo er sich mit fünf Mitgefangenen eine Pferdebox teilen musste. Mangelhafte Ernährung, Enge und Kälte machten Chadwick zu schaffen, und noch Jahre später litt er an den gesundheitlichen Folgen der Haft. Durch die Vermittlung von Max Planck (Nobelpreis 1918) und Lise Meitner erhielt Chadwick gelegentlich eine Besuchserlaubnis und durfte sogar in bescheidenem Rahmen Experimente durchführen. Er blieb jedoch bis 1918 in Gewahrsam.Nach dem Ersten Weltkrieg ging Chadwick wieder nach England und wurde 1923 stellvertretender Direktor des Cavendish Laboratory in Cambridge. Gespräche mit Rutherford hatten ihn mittlerweile von der Möglichkeit der Existenz des Neutrons überzeugt. Doch er wusste nicht, wie er es nachweisen sollte. Laut Chadwick waren einige seiner Experimente »so verzweifelt, so weit hergeholt, dass sie den Tagen der Alchemie angehörten«.Erste Bekanntschaft mit NeutronenIn der Hauptsache beschäftigte sich Chadwick jedoch mit Kernumwandlungen der leichten Elemente durch Beschuss mit Alphateilchen. Er konnte zeigen, dass die Anzahl der positiven Elementarteilchen im Atomkern gleich der Ordnungszahl des entsprechenden Elements ist, und leitete den Bau des ersten britischen Zyklotrons (Teilchenbeschleuniger).Im Jahr 1930 entdeckte Walther Bothe (Nobelpreis 1954) beim Beschießen von Beryllium mit Alphateilchen eine starke Gammastrahlung. Als Irène und Frédéric Joliot-Curie (gemeinsam Nobelpreis für Chemie 1935) diese Versuche wiederholten, stellten sie fest, dass diese Strahlung bei wasserstoffhaltigen Materialien wie zum Beispiel Paraffinwachs und Zellophan die Aussendung einer großen Anzahl von Protonen auslöst, ein Effekt, den man an Gammastrahlen noch niemals beobachtet hatte. Diese konnten zwar Elektronen ablenken, aber ein Proton, das fast 2000-mal schwerer war, ließ sich nicht so leicht bewegen.Als Chadwick zu Beginn des Jahres 1932 von den Ergebnissen des Ehepaars Joliot-Curie erfuhr, war er wie elektrisiert. »Ich war überzeugt, dass dort etwas ganz Neues und ebenso Merkwürdiges war«, erinnerte er sich später. Zehn Tage arbeitete Chadwick fast ununterbrochen an dem rätselhaften Phänomen. Seine Experimente, bei denen ihm im Gegensatz zu Bothe Ionisationszähler als Nachweisgeräte zur Verfügung standen, überzeugten ihn bald davon, dass die These der Joliot-Curies in der Tat falsch sein musste, da nicht mehr Energie oder Impuls aus einem Ereignis hervorgehen konnte, als darin eingegangen war. Chadwick zeigte, dass es sich bei der unbekannten, durchdringenden Strahlung um die lange gesuchten Neutronen handelte. Alphateilchen schlugen Neutronen aus dem Berylliumkern. Diese wiederum bewirkten die Ausstrahlung von Protonen (Wasserstoffkerne) aus den Paraffinmolekülen.Völlig erschöpft sandte Chadwick einen ersten kurzen Bericht an die Zeitschrift »Nature« und trug die Ergebnisse seiner Untersuchungen den Kollegen im Cavendish Laboratory vor. Danach erklärte er: »Jetzt möchte ich chloroformiert werden und zwei Wochen lang schlafen.«Der Nachweis des Neutrons führte bereits im Jahr der Entdeckung zu einer neuen Vorstellung von der Struktur des Atomkerns. Der russische Physiker Dimitri Iwanenko stellte in Moskau als Erster die Hypothese über den Aufbau des Atomkerns aus Neutronen und Protonen auf. Unabhängig von ihm entwickelte Werner Heisenberg (Nobelpreis 1932) eine umfassende Theorie, die unter anderem den Vorschlag der Kernkräfte enthielt. Proton und Neutron können sich ineinander umwandeln, sodass sie als verschiedene Zustände des gleichen Teilchens angesehen werden können. Man bezeichnet sie deshalb mit dem gemeinsamen Namen »Nukleon«.1934 gelang Chadwick die genaue Bestimmung der Neutronenmasse, die geringfügig größer als die des Protons ist. Bereits drei Jahre nach seiner Entdeckung des Neutrons wurde er hierfür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.Nuklearforschung ChadwicksWährend des Zweiten Weltkriegs war Chadwick Leiter der britischen Wissenschaftlergruppe im amerikanischen Atombombenprojekt. Aus Geheimhaltungsgründen waren die Wissenschaftler angewiesen worden, außerhalb der geheimen Forschungszentren ihre Namen nicht zu nennen. Als Chadwick einmal eine Behörde in einer nahe gelegenen Stadt aufsuchte, wurde er von dem zuständigen Beamten nach seinem Namen gefragt. Chadwick zögerte und wandte sich Rat suchend an seinen Begleiter. Der Beamte schüttelte verwundert den Kopf, da sein ausländischer Gegenüber anscheinend nicht einmal seinen Namen wusste.Auch nach dem Krieg war Chadwick eine wichtige Stimme in der britischen Atompolitik. Für seine Verdienste um die britische Nuklearforschung wurde er 1945 mit dem Adelstitel ausgezeichnet.M. Schaaf
Universal-Lexikon. 2012.